INTERVIEW
Gemeinsam mit Unternehmerin Nelly Kranz begab sich Starkoch Alfons Schuhbeck auf eine kulinarische Reise nach Tel Aviv. Mit uns sprach er über seine Erlebnisse und die israelische Kochkunst und verrät, wie man mit 70 immer noch voller Begeisterung einen 18-Stunden-Tag schafft.
Herr Schuhbeck, ich freue mich sehr, dass wir uns heute hier in den Südtiroler Stuben zusammen mit Nelly Kranz zum Gespräch treffen. Man kann viel über Sie lesen und trotzdem noch einmal die Frage: Was war für Sie der ausschlaggebende Punkt, dass Sie sich für Küche und Gastronomie entschieden haben?
AS: So etwas wächst. Ein Stein kommt zum anderen. Vor 50 Jahren wusste niemand, wohin sich die Gastronomie entwickelt. Die bayerische Küche hatte damals keinen besonderen Status - sie war schwer und knödellastig, Fest- und Feiertagsküche, sowie Kost zum Sattwerden. In der Gastronomie sollte man zunächst einmal lernen und Know-how erwerben. Früher ging man dazu ins Ausland. Ich war etwa in Österreich, der Schweiz, Paris und London. In München arbeitete ich bei wichtigen Stellen wie Käfer oder Dallmayr. Auf so einer Grundlage kannst du später aufbauen.
Hat Sie in all den Jahren jemand besonders geprägt?
AS: Witzigmann hat die klassische Küche auf ein neues Level gehoben. Die Nouvelle Cuisine hat die Küchenlandschaft in vielerlei Hinsicht verändert: Man dachte nun über Produkte, Garzeiten, Töpfe, Pfannen, Geschirr und Gläser nach. Eine ganze Industrie entstand daraus.
Wir sind am Platzl, einem Traditionsort in München. Hier führen Sie mehrere Läden. Wie haben Sie das Platzl entdeckt?
AS: Das war 2003. Das Platzl hatte gerade einen Wandel hinter sich – raus aus dem Rotlichtmilieu, rein in die touristische Szene. Es wurden einige Läden frei. Ich habe eine Galerie übernommen, ein Lederwarengeschäft und einen Pelzladen. Auch das japanische Souvenirgeschäft gegenüber musste schließen, als die Japaner weniger wurden. Der Wind drehte sich ins Kulinarische: Heute findet man hier mehr als zehn gastronomische Betriebe auf engstem Raum.
Gibt es Erlebnisse, die Sie, den Unternehmer Alfons Schuhbeck, geprägt und weitergebracht haben?
AS: Jeder Tag prägt, denn jeder Tag bringt ein Problem, das es zu lösen gilt. Das eine dauert länger, das andere kürzer. An diesem Prozess wächst man und schlägt manchmal auch neue Wege ein, weil der Kopf durch die Wand einfach nicht geht. Das funktioniert nur mit gutem Personal. Viele werfen schnell hin, weil ihnen die Gastronomie zu hart erscheint. Tatsächlich ist es ein sehr anstrengender Job, wenn man ihn ernsthaft betreibt. Der Tag hat 18 Stunden und wenn du morgen nicht mehr da bist, ist das schade. Aber dann kommt eben ein anderer.
Thema Fachkräftemangel: Sind Sie davon auch betroffen?
AS: Die Gastronomie ist schwer davon betroffen. In meinen Zeiten bei Witzigmann kamen auf einen neuen Job gut 600 Bewerbungen. Als ich in München anfing, waren es noch 30 Bewerbungen pro Stelle – und heute kommt gar nichts mehr. Man muss schauen, dass man die jungen Leute erreicht. Die kennen sich meist untereinander. In München geht es noch etwas leichter, als auf dem Land. Ein Problem der Gastronomie ist die Zweiteilung in Mittags- und Abendgeschäft. Der Koch steht von morgens bis mittags am Herd, hat nachmittags frei und muss dann abends wieder ran. Da gehen viele lieber in eine Kantine: Kaum Kreativität, dafür ist um 15 Uhr Schluss. Du hast mehr Zeit, doch dafür brauchst Du Geld. Also muss ein Zweitjob her und schon sind wir im gleichen Fahrwasser.
Sie bedienen in Ihren Lokalen unterschiedliche Klientel?
AS: Wenn man in der Stadt vielleicht 2.500 € netto im Monat zur Verfügung hat, davon Miete zahlen und eine Familie ernähren muss, kann man nicht auf Discounter schimpfen – und bei uns essen, wahrscheinlich auch nicht. Solche Gäste kommen eben nur für einen Kaffee oder ein Glas Wein in die Südtiroler Stuben. Mir ist der einfache Gast aber genauso wichtig, wie jeder andere. Im Zweifel ist das Geld des einfachen Mannes mehr wert, aber wir leben eben von den zahlenden Kunden.
Man hat den Eindruck, Sie arbeiten nur?
AS (lacht): Ich bin präsent: von 7 Uhr morgens bis Mitternacht und länger. Ich spreche mit Gästen, bin in der Küche und kümmere mich ums Personal. Da vergeht die Zeit, wie im Fluge. Wenn du dir heute vornimmst, zehn Kilometer zu laufen, machst du vermutlich am ersten Tag nach ein paar hundert Metern schon schlapp. Am zweiten Tag denkst du dir: das packe ich schon! Und es werden noch ein paar hundert Meter mehr, jeden Tag. Und so läufst du irgendwann die zehn Kilometer und weißt gar nicht mehr, wie das am Anfang war. In der Gastronomie ist das ähnlich: Du kochst, die Leute kommen, irgendwann bekommst du eine Auszeichnung und das erhöht den Druck. Du kannst in diesem Beruf die Welt sehen, lernst Sprachen, Küche und Kultur, musst aber auch wissen: Wann? Was? Wo? Wie im Fußball kommt irgendwann die Zeit, wo man Trainer oder Manager wird, statt aktiv auf dem Feld zu stehen. Das fällt nicht immer leicht.
Sind die Menschen heute einfach zu „satt“?
AS: Wenn du früher keine Arbeit hattest, standst du vor der großen Frage: Wohin? Heute suchst du dir einfach im Job-Portal einen neuen Job aus. Mit meinen 70 Jahren bin ich heute immer noch hungrig! Wenn mir etwa jemand sagt, er kennt eine neue Technik zum Schnitzel panieren, dann sag ich: „Zeig’s mir!“ Man muss den Ehrgeiz wecken!
Wie motiviert man die jungen Leute?
AS: Es gibt viele tolle, junge Leute - aber sie müssen erleben, um zu lernen. Vorgefertigte Meinungen der Eltern bringen da gar nichts.
Stichwort Erlebnis: Sie hatten gerade so ein Erlebnis und das schlägt die Brücke zu Nelly Kranz, die Delegationsreisen nach Israel organisiert. Gemeinsam waren Sie eben auf einer kulinarischen Reise dort. Wie kam es zu dieser Verbindung?
NK: Ich entwickle für meine Kunden maßgeschneiderte Reisen nach Israel. Das sind Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und auch Gastronomen. Networking und neue Inspirationen stehen auf dem Programm. Alfons Schuhbeck habe ich zufällig am Münchner Flughafen gesehen und ganz frech angesprochen. Wir haben uns wenig später getroffen und ein Konzept erarbeitet für 24 Stunden in Tel Aviv mit neun Terminen. Gastronomisch entwickelt sich das Land rasant in viele Richtungen. Die Kombination aus der deutschen Zuverlässigkeit und der israelischen Spontanität passt gut zusammen. Es gibt viele Kombinationen dort, die man sich hier kaum vorstellen kann. Spitzenköche etwa, die Streetfood anbieten.
AS: Wir waren bis fünf Uhr morgens unterwegs und haben viele interessante Dinge gesehen. Die Menschen leben im heute und sind unglaublich nett und freundlich. Die Multi-Kulti-Gesellschaft dort bringt viele Geschmäcker zusammen. Das ist bei uns ganz anders und würde nicht so funktionieren… Auch das hiesige Gemüse, die Tomaten, das Obst – alles schmeckt anders, weil die Sonne da ist.
Nelly schwärmte unter anderem von einem Blumenkohl, der wie Fleisch zubereitet wird.
AS: Der Blumenkohl wird erst in Salzwasser gekocht und dann im Ofen geröstet. So ist er weich, kohlt nicht mehr und schmeckt ganz besonders.
Warum ist Israel so interessant, Nelly?
NK: Wir haben hier ein sehr junges Land, das erst 1948 gegründet wurde und doch auf 2.000 Jahre Geschichte zurückblickt. Man findet Einflüsse aus der ganzen Welt, denn Israel ist das Einwandererland schlechthin. Da wir hier keine natürlichen Ressourcen haben, musste sich das Land immer wieder neu erfinden. Auch angesichts der schwierigen geographischen Lage und Sicherheitsthematik. So gibt es viel Innovation, die aus der Not heraus geboren ist.
Was ist Deine Reise-Empfehlung, wenn man einen kleinen Einblick gewinnen möchte?
NK: Israel ist winzig, so groß wie das Bundesland Hessen. Vom Süden in den Norden dauert es gerade mal 5,5 Stunden. Ich würde trotzdem vier bis fünf Tage in Tel Aviv planen und einen Tagesausflug nach Jerusalem. Hier gibt es neben Geschichte und Kultur auch viel Lifestyle zu erleben, mit tollen Restaurants und Bars.
Zum Beispiel?
NK: Unser erster Stop auf der kulinarischen Reise mit Alfons Schuhbeck galt dem Miznon – einem Pitastand mit tollen Kreationen…
AS: Man füllt dort die Pitabrote mit rohen Fleischpflanzerln und bäckt sie erst im Ofen. Das ist einfache Küche, die schmeckt. Nichts Verkünsteltes, sondern Geschmäcker, die die Menschen kennen und mögen.
NK: Anschließend waren wir bei Starkoch Yossi Shitrit im Restaurant Maschya, dessen Küche den Ursprung bei den Marokkanern findet, jedoch zeitgenössisch kombiniert. Auch eine Tour über den Markt kann ich nur empfehlen. Anita Gelato ist eine berühmte Eiscreme-Kette, die ich jedem Israel-Besucher ans Herz legen möchte. Zu guter Letzt lohnt sich ein Besuch in der Gourmet- Crêperie. Hier werden Crêpes aus Buchweizen mit Käse und Artischocken serviert. Ein Gedicht!
Woher kommt Dein persönlicher Bezug zu Israel, Nelly?
NK: Ich bin in München geboren, habe einen deutschen Vater und eine israelische Mutter. In meiner Kindheit und Jugend habe ich diese Kombination eher als Drama wahrgenommen, bis ich in dem Dilemma eine Chance für mein Unternehmen und meinen Job gefunden habe.
Zurück zu Ihnen, Herr Schuhbeck! Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?
AS: Jeden Tag ein anderes, weil ich jeden Tag anders drauf bin. Mal muss es ein Bier sein, mal schmeckt der Schampus besonders gut – das ist von der Tagesform abhängig. Ich bin jetzt 70 Jahre alt und muss meinem Körper gutes Material geben, damit er auch 18 Stunden arbeiten kann. Ich nehme keinerlei Medikamente, nur meine Gewürzkapseln.
Sie sprechen es an: Dieses Jahr haben Sie 70. Geburtstag gefeiert. Was sind Ihre Ziele und Pläne für die kommenden Jahre?
AS: Solange Körper und Geist mitmachen, sehe ich überhaupt keine Grenzen. Wenn ein Angestellter mit 63 sagt, er hört auf, dann verstehe ich das – wobei das auch nicht immer gesund ist. Viele Manager erleiden einen Herzinfarkt oder ähnliches, weil der Wechsel von Hochspannung auf null Verantwortung eben nicht nur Freude bereitet. Man muss sich selbst Ziele setzen und ich habe noch so viel vor! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…
In der Gastronomie machen die Produkte den Geschmack aus. Ist es heutzutage schwieriger, gute Lebensmittel zu einem vernünftigen Preis zu kaufen?
AS: Es gibt heute nichts, was es nicht gibt. Aber man muss die Lieferanten schon gezielt suchen und kaufen. Früher gab es etwa nur Radi, heute veredeln sie zu Melonenrettich. Ich finde das eigentlich recht interessant, weil das Produkt aus einem regionalen Lebensmittel entstanden ist. Schon die alten Römer haben veredelt. Gewürze waren früher sehr teuer, also zog man Kräuter, die auch in der Klostermedizin wichtig waren. Karl der Große etwa, erließ eine Landesverfügung: Demnach musste jedes Kloster mindestens 73 bestimmte Kräuter anbauen, um die medizinische Versorgung zu gewährleisten.
Sie erwähnten eben auch Ihre Gewürzkapseln. Was hat es damit auf sich?
AS: Seit der Antike weiß man, dass jedes Gewürz eine bestimmte Wirkung hat. Konfuze etwa, hat zu jedem Gericht Ingwer verspeist. Als ich professionell mit den Gewürzen angefangen habe, stand der Ingwer im Mittelpunkt. Das Gewürz ist sehr kompatibel, geht süß, aber auch salzig, und funktioniert wie ein Orchester, das schaut, das alle zusammen richtig spielen. Ganz im Gegensatz dazu steht zum Beispiel ein freches Gewürz – Liebstöckel oder Maggikraut. Damit kannst du auch nichts anderes würzen. Früher ging es in der Gewürzkunde weniger um Gesundheit, als um das Haltbarmachen von Lebensmitteln…
Erzählen Sie uns mehr über die Gewürzhistorie?
AS: 5.000 vor Christus fand alles seinen Anfang im asiatischen Raum. Als die Hochkultur der Ägypter später in die Hände der Griechen fiel, transportierte sich das Wissen weiter. Die haben damals schon Rosmarin ins Haar getan. Denn man wusste: die Cineol verbessert die geistige Aufnahmefähigkeit. 50 nach Christus konnte man bei den Römern bereits an die 1.000 Kräuter katalogisieren. Später gingen die Gewürze in den Wissensschatz der Moslems über. Die Benediktiner entwickelten eine Heilkunde, die rein auf Kräutern und Gewürzen basierte. Lorbeerblatt etwa wirkt blutzuckersenkend, Knoblauch blutdrucksenkend. Das wusste man schon im alten Ägypten. Knoblauch war daher das führende Gewürz beim Pyramidenbau. Jeder Sklave musste jeden Tag Knoblauch essen, sonst funktionierte nichts. Man kann die Geschichte der Gewürze hervorragend nachlesen in meinem Buch „Welt der Kräuter und Gewürze“. Mich interessieren die Zusammenhänge dieser Thematik besonders, denn es geht mir in meiner Küche in erster Linie um Gesundheit, die schmeckt.
Ein tolles Schlusswort! Herzlichen Dank, Herr Schuhbeck und Nelly Kranz, für diese interessanten Einblicke.
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